GÜLLE - BIOGAS - PFLANZENGESUNDHEIT

(1987 im Auftrag von Schweisfurth-Stiftung gemachte Studie) - überarbeitet 1997

Seit ich 1970 die Agrarchemie verließ, weil ich erkannte, daß der Weg des chemischen Pflanzenschutzes, der mit Giften Schädlinge bekämpfen oder ausrotten will, ein grundsätzlich falscher, gefährlicher und auf lange Sicht mörderischer Weg ist, beschäftige ich mich intensiv mit der Förderung regenerativer Landbaumethoden.

Es bleibt uns heute wenig Zeit. Wir können nicht mehr warten, bis der Idealismus siegt, bis die Mehrheit der Landwirte beschließt, ihre Betriebe voll auf eine der Schulen des alternativen Landbaus umzustellen. Wir müssen Mittel und Methoden finden, der Landwirtschaft zu helfen, schrittweise von den Giften und anderen ökologisch widersinnigen Praktiken abzukommen. Der Natur, den Menschen und der Ökologie ist mehr gedient, wenn es gelingt, daß Hunderttausende von Landwirten fünf, zehn oder zwanzig Prozent weniger Gifte nehmen und ihre Böden schrittweise aufbauen, als wenn jedes Jahr ein paar dutzend ganz umstellen. Bei gleichbleibender Anstrengung derjenigen, die in dieser Richtung mitwirken, verspricht der erste Weg ein schnelleres Vorankommen.

Während der letzten zwanzig Jahre haben ich und meine Mitarbeiter die Erfahrung gemacht, daß anaerob ausgereifte Gülle, so wie sie in der Biogasgrube entsteht und wie sie auch ganz einfach und billig in offenen Behältern aufbereitet werden kann, uns ein fantastisches Instrument in die Hand gibt für den schnellen Aufbau von Humus und Bodenleben, sowie für die Abschaffung der Giftspritzungen in der Landwirtschaft. Wir kommen damit schnell zu Pflanzen, die im Stoffwechsel ausgeglichen und daher für Schädlinge kaum noch anfällig sind.1

In der Biogasanlage, wenn sie richtig gefahren wird, werden bis zu sechzig Prozent der Trockensubstanz der Biomasse abgebaut und in Form von Biogas abgegeben, einem Gemisch von Methan, Kohlensäure, Stickstoff, einem geringen Anteil von Schwefelwasserstoff und Spuren anderer Gase. Je nach Ausrichtung der Anlage und der Beschaffenheit des Ausgangsmaterials kann die Gasmischung fünfzig bis achtzig Prozent Methan enthalten und mehr oder weniger schwefelfrei sein.

Die Biogastechnik, die in Asien seit über hundert Jahren praktiziert wird, wurde während der Ölkrisen der sechziger und siebziger Jahre weltweit gefördert, allerdings meistens als rein energetische Lösung. Der übrig bleibende Faulschlamm wird zwar meistens als Dünger auf die Felder ausgebracht, da der Blick aber vorwiegend auf die Energie des Gases gerichtet ist, wird ihm selten ein besonderer Wert zugemessen. Er wird meistens kaum besser bewertet als rohe Gülle und ebenso falsch angewendet wie diese.

Das in der modernen Landwirtschaft vorherrschende Paradigma, d.h. die Arbeitshypothese, von der ausgegangen wird, bewertet organische Dünger praktisch nur gemessen am Gehalt an Mineralnährstoffen: Stickstoff, Phosphor, Kali, manchmal werden auch andere von den Pflanzen in geringeren Mengen benötigte Elemente, wie Calzium, Magnesium, Mangan, Schwefel und die Spurenelemente berücksichtigt. So gesehen besteht kaum ein Unterschied zwischen gut ausgereifter Biogasgülle und roher Gülle. Auf die Tonne gerechnet, gleichen sich die Gehalte an Mineralnährstoffen ziemlich.

Durch die Ausgasung verliert die Biomasse im Faulraum fast auschließlich Kohlenstoff, Wasserstoff und Sauerstoff. Methan (CH4) besteht aus Kohlenstoff und Wasserstoff. Kohlensäure (CO2) enthält neben Kohlenstoff noch Sauerstoff. Der pflanzenverfügbare Stickstoff geht nicht verloren. Unter den organisch ausgerichteten Landwirten und Technikern betrachten einige den Kohlenstoffverlust durch die Gasbildung als einen Verlust für den übrig bleibenden Dünger, da sie gerne möglichst viel Kohlenstoff in Form organischer Masse als Energiequelle und Nahrung für Kleinlebewesen in den Boden geben möchten.Wir haben aber in der Praxis immer wieder die Erfahrung machen können, daß ein Biogasfaulschlamm um so bessere Düngerqualitäten zeigt, je besser er ausgereift ist, d.h. je mehr Gas er abgegeben hat. Biogasgülle benimmt sich hier wie Kompost, je hummifizierter ein Kompost, desto effektiver ist er, desto gesünder auch die mit ihm gedüngten Pflanzen. Gut ausgereifter Biogasschlamm kann außerdem als harmloses Pflanzenschutzmittel (nicht Agrargift) auf das Blatt gegeben werden. Er hat den selben stimulierenden Effekt den ein Humusaufguß hat. Es werden zwar keine Schädlinge oder Pilze abgetötet, die Pflanze gewinnt aber an Abwehrkraft. Der Schädlingsbefall geht zurück.

Gleiche Mengen roher Gülle und ausgereifter Biogasgülle wirken sehr verschieden: Eine mit roher Gülle behandelte Weide wird von Rindern, Schafen, Pferden lange gemieden, eine mit anaerob ausgereifter Gülle behandelte zieht sie an; selbst Rehe kommen aus dem Wald. Es wird oft behauptet, dies sei nur darauf zurückzuführen, daß rohe Gülle stinkt und die Biogasgülle eher angenehm riecht. Wenn man die Tiere aber genauer beobachtet, sieht man, daß eine mit Biogasgülle gedüngte Weide für sie anscheinend schmackhafter ist. Sie wird auch einer unbehandelten vorgezogen und ganz abgegrast. Man braucht keinen Zaun, um die Tiere auf ihr zu halten.

Hinzu kommt, daß rohe Gülle auf Pflanzen ätzend wirkt. Dies ist bei Biogasgülle nicht der Fall. Biogasgülle hat auch einen sehr positiven Effekt auf die pflanzliche Zusammensetzung einer Weide. Unerwünschte Kräuter wie Sauerampfer u.a. gehen bei systematischer Behandlung langsam zurück, und es kommen mehr Leguminosen. Das Gegenteil ist bei roher Gülle der Fall. Auch das Bodenleben wird bei roher Gülle negativ, bei Biogasgülle positiv beeinflußt. Sie fördert Regenwürmer und sie begünstigt den Aufbau von Humus. Die Bodenstruktur wird immer besser. Auch ist gut ausgereifte Biogasgülle leichter auszubringen, und sie dringt in den Boden besser ein, da sie dünnflüssiger ist.

Wenn man Biogasgülle mit den üblichen Düngersalzen vergleicht, stellt man fest, daß die wasserlöslichen Stickstoffdünger nicht nur das Bodenleben nachteilig beeinflussen, sondern daß auch die Leguminosen wie Klee, Wicke, Lupine u.a. zurückgehen, während diese Kräuter von der Biogasgülle auch ohne Kalkdünger erst richtig gefördert werden. Interessant ist ja auch in diesem Zusammenhang, daß rohe Gülle sauer ist (pH-Werte bis unter 6), während Biogasgülle schwach alkalisch reagiert (pH über 7).

Nun behauptet die konventionelle Agrar"wissenschaft", in der Biogasgülle sei der Stickstoff stark mineralisiert, er würde deshalb leichter zu Nitratauswaschungen führen. Daß kann nicht stimmen. Lysimeter-Versuche, im Fraunhofer Institut durchgeführt von Herrn Hans Ulrich Merz, (1987) bestätigten bereits das Gegenteil. Biogasgülle ist also etwas ganz Besonderes; sie unterscheidet sich sehr von roher Gülle. Der Unterschied tritt aber in den üblichen Elementaranalysen, die heute in der Landwirtschaft gemacht werden, kaum zutage. Daher wird sie auch oft falsch angewendet. Auf dem Hof der Liebenau-Stiftung (1987) sagte uns der Landwirt, der sehr mit der Biogasgülle zufrieden war und auch die oben aufgeführten Vorteile durchaus sah, er wende auf Maisfeldern bis zu 150 Tonnen pro Hektar an, weil er 150 Kilo Stickstoff auf den Hektar ausbringen müsse - eine sinnlose Verschwendung! Der Stickstoffgehalt der Biogasgülle liegt bei circa 1% der Trockensubstanz, die wiederum bei circa 10% des Gesamtgewichts liegt. Wir haben aber in Brasilien die Erfahrung gemacht, daß es keinen Sinn hat, mehr als 15 Tonnen auf den Hektar auszubringen. Mit dieser Menge bekommen wir maximale Maiserträge. Bei organischen Düngern ist der effektive Gehalt an Stickstoff und den anderen Pflanzennährstoffen nicht der ausschlaggebende Faktor. Wichtig ist, wie diese Dünger das Bodenleben stimulieren. In einem lebendigen Boden wird Stickstoff durch bestimmte Bakterien, wie Azotobakter und den an den Leguminosenwurzeln lebenden Rizobiumbakterien, direkt aus der Luft fixiert. Siehe auch Mykorrhiza, Seite 9.

Statt der üblichen Elementaranalysen sollte man biochemische Analysen machen. Diese sind zwar komplizierter und teurer, sie könnten aber Aufschluß über die oben angeschnittenen Fragen geben. Es wäre interessant festzustellen, wie die verschiedenen organischen Dünger wirklich zusammengesetzt sind. Die reine Elementaranalyse, die nur die verschiedenen Elemente aufzählt, besagt kaum mehr als wenn wir, um ein treffendes Bild zu benutzen, ein Auto oder ein Flugzeug beschreiben würden, indem wir nur aufzählten, wieviel Eisen, Aluminium, Kupfer, Blei, Kunststoff, Leder, Glas, Gummi, usw. für den Bau dieser komplizierten Maschinen benutzt wurden. Der wichtigste Aspekt, nämlich die Struktur und Funktion, bliebe unerwähnt. Eine biochemische Analyse der rohen und der ausgereiften Biogasgülle würde uns sagen, was in der Biogasgülle enthalten ist in Form von Aminosäuren, Peptiden, Eiweißen, Enzymen, Hormonen, Vitaminen, Alkaloiden, Humuskomplex, an Wuchsstoffen und sogar Mineralsalzen oder Ionen und, und das ist sehr wichtig, wie letztere eingebunden sind, etwa Ammoniumstickstoff an den Humuskomplex, so daß er eben nicht ausgewaschen wird. Bei der rohen Gülle würde man starke Säuren, wie Essigsäure und andere fesstellen, sowie die stinkenden Substanzen Merkaptan, Indol, Skatol, Schwefelwasserstoff, freien Ammoniak. Während wir in ausgereifter Biogasgülle eine biochemisch einigermaßen stabilisierte Situation haben, laufen in der rohen Gülle noch intensive Reaktionen ab. Daher ist auch die Mikroflora eine völlig andere. Wie grundsätzlich verschieden beide Güllen sind, erkennt man auch daran, daß ganz verschiedene Arten von Insekten angezogen werden.

All diese Aspekte müssen noch eingehend erforscht werden. Es geht also im organischen Landbau nicht um weniger Wissenschaft, wie uns von konventioneller Seite vorgeworfen wird, nein, es geht um mehr und tiefergreifendere Wissenschaft. Primitiv ist das einspurige NPK-Agrargiftparadigma.

Wenn wir mehr über die biochemische Zusammensetzung wüßten, würden wir wohl auch verstehen, warum Biogasgülle im Gegensatz zu roher Gülle und zu den wasserlöslichen Kunstdüngern, aber ebenso wie ausgereifter Kompost, einen so guten Effekt auf die Pflanzengesundheit hat. Ich wiederhole, nicht nur kann man mit Biogasgülle die Bodenfruchtbarkeit2 so weit wiederherstellen, daß darauf gesunde Pflanzen wachsen, die für Schädlinge kaum anfällig sind, man kann Biogasgülle sogar als Pflanzenschutzmittel benutzen. Aufs Blatt gegeben, stärkt sie die Pflanze. Schädlinge gehen zurück, weil die Pflanze an Widerstandskraft gewinnt.

Ich hoffte immer, Institute und Professoren zu finden, die diesen Fragen auf den Grund gehen. Bis auf die Doktorarbeit von Hans Ulrich Merz3, der exakte Auswaschungsversuche mit Lysimeter machte, ist es mir leider bis jetzt nicht gelungen, in dieser Richtung relevante akademische Arbeiten zu finden. Es ist schade, aber für die Praxis kommen wir auch ohne sie aus. Unsere eigenen alltäglichen Beobachtungen auf dem Feld, im Gewächshaus und in freier Natur, sogar im intakten tropischen Regenwald, sagen uns bereit sehr viel aus.

Während Bauern, die mit Biogas arbeiten, die Vorteile der Gülle erkennen, gehen die wissenschaftlichen Arbeiten - eigentlich handelt es sich nicht um wissenschaftliche Forschung, sondern ganz einfach um die Suche nach praktischen Verfahren, also Technik, nicht Wissenschaft - meistens nur von einer ganz konventionellen Fragestellung aus: Effizienz in der Energieerzeugung, wobei der Dünger manchmal völlig außer acht gelassen wird, oder wenn er beachtet wird, dann im Rahmen des üblichen NPK-Denkens. Ich habe sogar von einem Fall gehört, wo die ausgereifte Gülle in die Kanalisation gegeben wurde... Dann wird heute in den städtischen Kläranlagen der Schlamm oft unter hohem Energieaufwand eingedichtet, verbrannt und die Asche auf Sonderdeponie gebracht. Etwas sinnloseres kann man sich wohl kaum vorstellen.

Wenn nur der Gehalt an Mineralnährstoffen gesehen wird, sind rohe Gülle, belüftete Gülle und Biogasgülle oder Kompost ziemlich gleichwertig und natürlich weniger wertvoll als Kunstdünger, wobei es sich ja um fast reine Salze handelt. Die Frage nach der Pflanzengesundheit, wohl die wichtigste Frage überhaupt in diesem Komplex, wird gar nicht gestellt.

Das Schlimme an den Paradigmen, die die moderne Technik untermauern, ist nicht so sehr, daß sie so oft in falsche Richtungen steuern. Fehler kann man entdecken, und sie können dann vermieden werden. Schlimm ist vielmehr, daß gewisse Richtungen einfach abgeblockt werden, wohl deshalb, weil sie gewissen Interessen widersprechen.

Wie oben erwähnt, sehe ich in der Biogastechnik bei der heutigen Situation der Landwirtschaft, sowohl in der EG als auch in der "Dritten Welt", ein wunderbares Instrument zur schrittweisen Förderung regenerativer Methoden in der Landwirtschaft - natürlich nur ein Schritt, der aber automatisch andere auslösen wird. Wenn die Landwirte und Gärtner merken, wie durch organische Methoden die Pflanzen gesund bleiben und die Gifte sich erübrigen, sind sie sehr bald aufgeschlossen für weitere Schritte.

Wenn 1987 in der BRD zweihundert Millionen Tonnen Gülle nicht als Kapital, sondern als Umweltproblem angesehen wurden und vorwiegend als Abfall behandelt wurden - es soll sogar schon zu Verklappung gekommen sein - dann ist das ein Skandal. Natürlich wollen wir die Massentierhaltung mit importierten Futtermitteln nicht retten oder gar fördern. Aber eine Übergangslösung, die gleichzeitig dazu führt, ganz allgemein Landwirte weg von der Chemie und den Giften in Richtung regenerativer Landwirtschaft zu führen, ist eine einmalige Chance, die nicht verspielt werden darf. Früher oder später findet die Massentierhaltung sowieso ein Ende. In Südbrasilien bauen wir bereits weniger Soja an, weil wir von der großen Monokultur abkommen müssen. Und bei wachsender Bevölkerung wird Brasilien bald gezwungen sein, die Sojabohnen selbst zu konsumieren. Ähnlich dürfte die Entwicklung in den Ländern verlaufen, die Tapioka oder Palmenöltorte für die EG produzieren. Und wenn schon Massentierhaltung mit eigens für diesen Zweck angebautem Kraftfutter, dann sollten wir die Tiere hier füttern, mit mehr Freilauf, und nur das Fleisch exportieren.

Die Massentierhaltung in ihrer heutigen Form ist mitunter das Dümmste, was in der Landwirtschaft gemacht wird. Wenn die alten biblischen Patriarchen, die ja in Oasen lebten, Schweinefleisch verboten haben, dann hatte das ökologische und soziale Gründe. Während Kamel, Ziege, Esel sich draußen ernähren, müßte für das Schwein eigens in der Oase angebaut werden oder dem menschlichen Konsum entzogen werden. Schweine fressen ja kein trockenes Stroh, sondern Nüsse, Körner, Wurzeln, Knollen, saftiges Grün und sogar Fleisch, alles menschliche Nahrung. In der traditionellen chinesischen Landwirtschaft ist das Schwein ein Resteverwerter, hauptsächlich für Gemüsereste, usw. In unseren heutigen Hühner- und Rinder-KZs machen wir aus diesen Tieren biblische Schweine...! In den modernen Schweinekerkern bekommen diese nichts Grünes mehr, und es wird zum Teil sogar verboten, sie mit Essensresten aus Restaurants zu füttern. Dabei hatten Rind und Huhn in einer nachhaltigen Landwirtschaft die Funktion, die Tragfähigkeit des Bodens für den Menschen zu erhöhen, indem sie uns Nahrungsquellen zugänglich machen, die uns nicht direkt zugänglich sind: das Gras auf der Weide und am Berghang, bei Ziegen Büsche, beim freilaufenden Huhn die Kräuter, Insekten, Regenwürmer, sowie Pferde- und Rindermist.

Wenn heute von indischen Bauern McDonald's und Pizza-Hut-Läden zerschlagen werden, dann weil sie wissen, daß diese die Massentierhaltung voraussetzen, was für Indien mit seinen 900 Millionen Menschen selbstmörderisch wäre. Und wenn nur die 1,2 Milliarden Chinesen beschlössen, sich so zu ernähren, wie heute Europäer und Amerikaner, lieber Leser, mache selbst die Fortschreibung...

Wir müssen also Wege finden, daß zum einen, wirklich relevant in der Praxis experimentiert wird und zum anderen, einfache, billige, möglichst von Bauern selbst zu bauende Anlagen entwickelt werden. Diese wären dann auch für diejenigen Landwirte von Nutzen, die mit angemessenem Tierbestand wirtschaften.

Ein erster Schritt in diese Richtung wäre eine gezielte Umfrage bei Landwirten und auch Industrien, die mit Biogas arbeiten. Angeblich gibt es in der Bundesrepublik bereits circa zweihundertundfünfzig funktionierende Anlagen (1997). Wichtig wäre es auch, die Schweiz und Österreich einzubeziehen. Besonders in der Schweiz soll diese Problematik bereits am besten verstanden werden.

Die Arbeit mit dem Dünger und der Pflanzengesundheit schließt natürlich die energetischen Aspekte nicht aus. Im Gegenteil: Wenn gezielt in Richtung eines besseren Düngerwerts und der Pflanzengesundheit gearbeitet wird, müssen die Gärgruben für längere Verweilzeit ausgelegt werden, was neben der biologischen Reife des Düngers auch eine größere Gasausbeute bedeutet. Die betriebswirtschaftliche Bewertung darf aber nicht, wie bisher meistens der Fall, nur die Energie sehen. Diese sollte man eher als ein zusätzliches Geschenk betrachten. Wichtig sind: Pflanzengesundheit, Einsparung an Giften; Düngerwert, Einsparung an wasserlöslichem Kunstdünger, und Arbeitseinsparung; Einsparung auch an Investitionskosten, wenn die Anlagen einfacher ausgelegt werden. Auch soll Biogasgülle keinesfalls organische Festdünger wie Kompost u.a., wenn vorhanden, sowie organische Bodenbewirtschaftung überhaupt, verdrängen, sondern ergänzen.

Nun kann man für den Pflanzenschutz - Anwendung nur aufs Blatt, wo es ja um geringe Mengen geht - ausgereifte Biogasgülle auch ohne Biogasanlage aufbereiten, ganz einfach und ganz billig. In unserem Apfelanbaugebiet, im Nordosten unseres Bundeslandes Rio Grande do Sul, auf dem Hochplateau, wo es im Winter auch öfters schneit, hat ein Bauer ein eigenes Rezept entwickelt. Im Sommer, wenn die Temperaturen über 20° C liegen, gibt er 50% frischen Kuhdung in eine 200 l Öltrommel, dazu ein oder zwei Kilo Melasse und ein oder zwei Liter Milch, füllt auf 100% auf. Wenn die Brühe ausgereift ist, in ca. 20 Tagen (das merkt man daran, daß der Schaum nicht mehr abgefackelt werden kann, weil kein Methan mehr kommt) gibt er Spurenelemente hinzu, vom Eisen, Kupfer über Mangan und Bor bis hin zu Molybdän und Vanadium. Es gärt etwas nach. Dann wird die ausgesiebte und auf 1-2% verdünnte Brühe auf die Apfelbäume mit der üblichen Pflanzenschutzspritze ausgebracht, alle 15 Tage, als handle es sich um die üblichen Fungizide und Insektizide der Agrargifthersteller. Er kommt dann völlig ohne Gifte aus. Selbst die Fruchtfliege ist kaum noch ein Problem, es genügt, sie mit Melasse zu ködern, ohne Gift. Sie legen ihre Eier auf die Melasse, statt in die Früchte. Die anaerob ausgereifte Brühe ist in den kälteren Monaten unbegrenzt haltbar, kann gelagert werden. Der Erfolg dieser Methode im Apfelbau ist so verblüffend, daß sie jetzt "Super-Magro" genannt wird. Der Landwirt, der sie eingeführt hat heißt Magro.

Nun macht ein anderer Kleinbauer, Herr Adoniel Amparo, im Norosten Brasiliens, in den Bundesländern Sergipe, Alagoas und Bahia eine wahre Revolution, die sich nicht nur auf Kleinbauern beschränkt. Er bereitet eine ähnliche Brühe, die er "Biogel" nennt. Einziger Unterschied zu "Super-Magro", statt Spurenelemente aus der Drogerie in Form reiner Salze, nimmt er Gesteinsmehl - Serpentinit. Dieses Gestein, das dort in bestimmten Kalksteinbrüchen vorkommt und Marmor ähnlich sieht, ist besonders reich an Spurenelementen, es fördert eine besonders intensive Gärung.

Im Kakau, wo viele Pflanzer ganz aufgegeben haben, weil sie trotz aller Fungizide gegen Pilzkrankheiten nicht mehr ankamen und die Kosten für die Agrargifte nicht mehr tragen konnten, wirkt "Biogel" besonders gut. Es wird jetzt auch in Kokosplantagen angewendet, auf Bananen, Mais, Zitrus, Ananas, Gemüse und allen regionalen Kulturen. Ich kann mir vorstellen, daß man mit dieser Methode die Sigatoka in den großen Bananenplantagen in Ecuador, Kolumbien, Zentralamerika und der Karibik unter Kontrolle bekommen kann. Man sollte unbedingt testen. Die Europäer bekämen dann saubere Bananen.

Außer auf Biogasdünger und Biogas möchte ich noch auf eine sehr viel versprechende Richtung im ökologischen Pflanzenschutz hinweisen: Es geht um die alternativen Pflanzenschutzmittel, von denen ja Biogasgülle, aufs Blatt gegeben, bereits eines ist. Die bereits im alternativen Landbau angewendeten Pflanzenbehandlungsmittel, wie Brennesseljauche u.a., sind bekannt.

In der Nähe meiner Heimatstadt, Porto Alegre, ist eine große Plantage von Goiabas. Diese tropische Frucht ist in Deutschland unter dem Namen Guave bekannt, wird aus Südafrika importiert und eignet sich besonders für ganz köstliche Konfitüre und Marmeladen. Es sind 65.000 Bäume, jetzt ca. dreissig Jahre alt, auf 24 ha. sandigem, armen Boden. Vor einem halben Dutzend Jahren wollte der Besitzer die Plantage für Viehweide roden. Die Kosten für die vielen Gifte, Dünger und teure Bodenbehandlung ließen ihm kaum noch eine Gewinnspanne. Die offizielle Beratung hatte ihm, außer den bis zu dreißig Giftspritzungen im Jahr, noch vorgeschrieben, einmal im Jahr tief zu pflügen, mindestens einmal im Monat zu eggen, mit Herbiziden den Boden total nackt zu halten, hohe Stickstoffgaben auszubringen und einiges mehr.

Wir haben ihm empfohlen, den Boden ganz in Ruhe zu lassen, die Naturgräser und Kräuter sich selbst zu überlassen, Leguminosen (Klee, Vicke) einzusäen; keine Stickstoffdünger mehr, einmal nur 500 kg/ha. Rohphosphat, das reicht für 10 Jahre. Da in seiner Nähe eine Molkerei ist, haben wir ihm empfohlen, Molke aus der Käserei, zunächst auf 10% verdünnt, jetzt sind wir schon bei 2%, alle 15 Tage zu spritzen, genau wie früher die Fungizide. Inzwischen hat er die Qualität und den Ertrag seiner Früchte nochmal verbessert, indem er der Molke fein gemahlene Eierschalen (Kalzium) aus der Bäckerei zugibt, die sonst auf dem Müll gelandet wären. Das stärkt die Schale der Frucht. Die Rinder hat er jetzt sowieso, plus Schafe. Die grasen unter den Bäumen, halten die grüne Decke kurz, düngen organisch. Auch bei ihm ist die Fruchtfliege kein Problem mehr, Melasseköder genügen. Molke sollte unbedingt auf Hopfen und im Weinbau getestet werden. Mir hat ein slowenischer Winzer bestätigt, daß auf seinem Gut schon immer Molke statt der üblichen Fungizide gespritzt wird.

Solche Methoden und Rezepte, die der Bauer praktisch ohne Kosten entwickeln und anwenden kann, sind natürlich in der Welt, in der wir heute leben, der selbstmörderischen Konsumgesellschaft, die dabei ist, die gesamte Schöpfung zu veraasen, zutiefst subversiv, sie helfen weder Banken noch transnationalen Konzernen, die heute mehr Macht haben als alle Regierungen. Gerade deswegen müssen wir sie fördern bevor sie uns verboten werden.

Durchaus verständlich, daß von Seiten des konventionellen Landbaus schon Stimmen laut werden, die behaupten, die vielen Leguminosen im Ökolandbau förderteten Nitrateinwaschung...! Einen obzöneren Zynismus, ausgehend von Leuten, die angeben wissenschaftlich ehrlich zu handeln, kann man sich kaum vorstellen.

Wie das mit dem Verbieten geht, kann man im Fall Gentechnik schon ganz klar sehen. Der Umweltschutz kämpft leider oft in die falsche Richtung. Die Gefahr liegt weniger in der Genmanipulation, sie liegt im Patentieren von Lebewesen: im patentierten Saatgut, im Patentieren von Genen, von biologischen Prozessen ganz allgemein. Dies ist kein rein technisch-biologisches Problem, es ist ein politisches Problem. Es geht um Ausbau von Macht. Der Bauer soll noch weiter zugunsten der Industrie enteignet oder vereinnahmt werden. Das Endziel der transnationalen Technokratie:

Der Bauer nur noch als Zubringer der Agrarindustrie, des "Agribusiness". Er soll all seine Betriebsmittel bei der Industrie beziehen, zu von ihr allein bestimmten, immer höheren Preisen und all seine Erzeugnisse, zu allein von ihr bestimmten, immer niedrigeren Preisen dort abliefern. Dazu soll er noch das Risiko schlechter Ernten durch Klimaeinflüße tragen. Die sicheren Geschäfte bleiben alle bei der Industrie, alle Risiken beim Bauern.

Niemand, außer die Industrie, braucht genmanipulierte Kultivare. Die phantastische biologische Vielfalt der Kulturpflanzen ist in den letzten Jahrzehnten durch die "Grüne Revolution" bereits gewaltig und unwiederbringlich reduziert worden. Die Übernahme der Saatgutfirmen durch die Agrargiftkonzerne will diesen Prozeß noch weiter verschlimmern mit ihren patentierten, für ihre Gifte resistenten, genmanipulierten Kultivaren. So kann sie dann ihre Gifte in einem Paket mit dem Saatgut verkaufen. Die Banken werden dann Kredite nur noch erteilen für das geschlossene Paket. Wir haben hier in Südbrasilien schon Beispiele für diese Taktik. Will ein Bauer eine der alten, im Aussterben befindlichen Maissorten anbauen, bekommt er dafür keinen Kredit.

In Witzenhausen, bei Professor Vogtmann, liefen sehr interessante und relevante Versuche, besonders im Hinblick auf die Phyllosphäre, daß ist die Symbiose zwischen Blatt und gewissen Bakterien, die auf der Blattoberfläche leben,wobei es sich nicht um patogene Organismen handelt, sondern um Nützlinge. Diese Lebensgemeinschaft kann von den üblichen Agrargiften abgetötet werden. Sie kann aber von den oben erwähnten alternativen Pflanzenbehandlungsmitteln gefördert werden. Diese Mikroflora spielt sicher auch eine Rolle in der Abwehr von Schädlingen auf gesunden Pflanzen. Biologen im Amazonasgebiet haben sogar entdeckt, daß einige dieser auf dem Blatt lebenden Bakterien Stickstoff aus der Luft fixieren und für die Pflanze verfügbar machen.

In diesem Zusammenhang ist auch Mykorrhiza ausschlaggebend, das ist die dreifache Symbiose, die viele Pflanzen mit Pilzen und Bakterien eingehen. Die äußersten Spitzen der Wurzeln, die Haarwurzeln, umgeben sich - wie mit einem Handschuh - mit einer gelartigen Substanz, genannt Mucigel, die sie selbst ausscheiden. Darin nisten sich ganz bestimmte Bakterien ein, die von dem Mucigel ernährt werden. Hinzu kommen Hyphen von bestimmten Pilzen, die sogar die Wurzel selbst durchdringen können. Bakterien und Pilze sind oft artspezifisch für die entsprechende Pflanze. Dieser lebendige Komplex erweitert nicht nur die Durchdringung des Bodens, weil das Mycel des Pilzes wie eine Fortsetzung der Pflanzenwurzel, oft auf einige Meter mehr, wirkt, es können auf diese Weise benachbarte Pflanzen, z.B. im Obstgarten, über das Pilzmycel physiologisch miteinander in Verbindung stehen. Von vitaler Bedeutung für die Pflanzengesundheit ist, daß es der Mykorrhiza gelingt nicht gelöste Mineralnährstoffe, besonders Phosphor, und all die unentbehrlichen Spurenelemente für die Pflanzen aufzunehmen. Diese können von der Mykorrhiza sogar aus dem Kristallgitter des Bodengesteins, z.B. Sandkörnern oder Kies herausgelöst werden.

Man stelle sich nun vor, was hier tiefes Pflügen, ewiges Eggen, der Abbau von Humus, Zerstörung oder Störung von Bodenleben durch Herbizide, durch die vom Blatt heruntergewaschenen Agrargifte, durch die hohen Stickstoffgaben, schon allein durch den erhöhten osmotischen Druck der konzentrierten Kunstdüngersalze, an Schaden anrichten - zum großen Vorteil der Agrarchemie, die dann immer mehr Medikamente verkaufen kann für die Krankheiten, die sie selbst ausgelöst hat.

Bei Leguminosen, Hülsenfrüchten, sorgt die bereits oben erwähnte ähnliche Symbiose, genannt Rhizobium, für die Aufnahme von Stickstoff aus der Luft. Den Bakterien in den Wurzelknöllchen gelingt, bei normalen Temperaturen und normalem atmosphärischen Druck, was die Chemie im Haber-Bosch-Prozeß nur unter extremem Druck, hohen Temperaturen und enormem Energieaufwand schafft. Auch so eine subversive Sache! So ein kleines, primitives Biest liefert uns umsonst, was wir doch eigentlich bei der Großchemie teuer zukaufen sollten.

Die Untersuchungen zur Phyllosphäre bestätigen meine eigenen Erfahrungen in der Praxis. Mit der Anwendung aufs Blatt meines Präparates (Handelsnahme: Humoflor) aus sehr gut ausgereiftem Humuskomplex, gewonnen aus dem Aktivschlamm der Kläranlage eines großen Zellstoffwerks, habe ich gute Erfolge im Pflanzenschutz erzielt. Ein japanischer Diplomlandwirt in São Paulo, Yoshio Tsuzuki, fördert seit zwanzig Jahren auch mit erstaunlichem Erfolg in verschiedenen Kulturen, besonders Getreide und Zitrus, stark verdünnte Aminosäurelösungen, gewonnen aus industriellen Abfällen. Bei Anwendung dieser Lösungen aufs Blatt erreicht man nicht nur sehr interessante Ertragssteigerungen, sondern auch einen starken Rückgang von Schädlingsbefall, besonders Pilzkrankheiten.

Der französiche Biologe Francis Chaboussou, der die Theorie der Trophobiose vorschlägt (siehe sein Buch, oben Seite 1), hat gezeigt, daß die Anfälligkeit der Pflanzen durch Schädlinge, ob es sich dabei um Insekten handelt oder Milben, Nematoden, Pilze, Bakterien und sogar Viren, davon abhängt, ob der Stoffwechsel der Pflanzen gestört ist oder nicht. Ein ausgeglichener Stoffwechsel aber, hängt davon ab, daß die Pflanze richtig ernährt ist, und daß all die anderen Faktoren stimmen, wie Klima, Wetter, Standort, Beipflanzen und Allelopathie4, usw. Aufmerksame organische Bauern und Gärtner oder Förster wußten das schon immer, was Chaboussou aufgeklärt hat, ist der biochemische Mechanismus der dahinter steckt.

Daher geht es in einer gesunden, nachhaltigen Landwirtschaft nicht darum, willkürliche, tollwütige Feinde zu bekämpfen, sondern darum, wie können wir unsere Pflanzen gesund halten.

Die oben erwähnten Methoden und Mittel sind nur ein kleiner Teil vieler der alternativen Praktiken, die dazu führen.

Die Absicht dieser Arbeit ist zu zeigen, daß die Auswege aus der heutigen Katastrophe in der Landwirtschaft in greifbarer Nähe liegen, daß sie ohne staatliche und transnationale Hilfe leicht zugängig sind, daß aber mächtige Interessen uns daran hindern wollen.

José A. Lutzenberger
Mai 1997

  1. Über den Zusammenhang Stoffwechsel und Anfälligkeit für Schädlinge siehe:

    Francis Chaboussou:
    PFLANZENGESUNDHEIT UND IHRE BEEINTRÄCHTIGUNG
    Die Schädigung durch synthetische Dünge- und Pflanzenbehandlungsmittel,
    Vorwort von José Lutzenberger
    C.F. Müller Verlag, Heidelberg, 1996, ISBN 3-7880-9891-0

    Die Originalausgabe erschien unter dem Titel:

    Francis Chaboussou
    SANTÉ DES CULTURES
    Une Révolution Agronomique
    Flammarion, La Maison Rustique, Paris, 1985, ISBN 2-7066-0150-7
  2. Es geht um die Bodengare. Dieser Ausdruck kommt in der modernen Agrarchemie praktisch nicht mehr vor. Für den traditionellen, bodenständigen, noch naturverbundenen Bauern war er aber sehr wichtig, er erkannte die Bodengare mit den Fingerspitzen, mit den Augen und am Geruch, und dies sagte ihm mehr als so manche Bodenanalyse heute.
  3. Untersuchungen zur Wirkung von unbehandelter und methanvergorener Rindergülle auf den N-Umsatz unter Dactylis glomerata L. sowie auf das Keimverhalten verschiedener Pflanzenarten. Dissertation, vorgelegt der Fakultät III - Agrarwissenschaften I der Universität Hohenheim, 1988, Hans Ulrich Merz.
  4. Durch Ausscheiden bestimmter Substanzen aus den Wurzeln können sich Pflanzen im Boden gegenseitig bekämpfen oder unterstützen. Dieser Vorgang heißt Allelopathie.

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