Das Verschwinden der Regenwaelder könnte zu einer neuen Eiszeit führen
José A. Lutzenberger - Porto Alegre, 22.XI.2000
Für den Weltethik Kongress in Kühlungborn-Deutschland geschrieben
November 2000

Bezueglich der Gefahren einer Klimaverschiebung durch die CO2 Emmissionen, wird allgemein davon ausgegangen, dass wir durch Treibhauseffekt ein waermeres Klima bekommen, mit Schmelzen der Polarkappen und Ueberflutung enormer Flaechen in den Kuestenregionen (Hamburg, London, Rio, Hongkong, etc., ganz Norddeutschland, Bangladesch, usw.). Einige Klimatologen gehen aber auch davon aus, durch ein Waermerwerden des Klimas koennte dann ein Umkippen in eine neue Eiszeit kommen. Waermeres Wetter fuehrt zu intensiverer Bewoelkung, das bedeutet mehr Albedo, mehr von der einstrahlenden Sonnenenergie wird in den leeren Weltraum zurueckgestrahlt, der Waermehaushalt des Planeten verschiebt sich Richtung kaelter. Es gibt aber noch einen anderen Faktor, der zu neuer Vereisung fuehren koennte.

James Lovelock (Gaia-Hypothese) hat mich in einem persoenlichen Gespraech schon vor Jahren darauf hingewiesen, dass, sollte der Regenwald in Amazonien vernichtet werden - wenn die Wucht der Zerstoerung so weiter geht, wie bisher, koennte er in wenigen Jahrzehnen fast total verdschwunden sein; einige brasilianische Wissenschaftler sehen als pessimistische Hypothese zwanzig Jahre, als optimistische dreissig (!) - dann koennte das zu einem Umkippen des Golfstroms mit Ausbrechen einer neuen Eiszeit fuehren.

Der Regenwald ist nicht, wie oft gesagt wird „Die Lunge der Erde". Das ist eine falsche Metapher, Lungen produzieren ja nicht Sauerstoff, wie da suggeriert werden soll, sie produzieren Kohlendioxid. Der Regenwald, das trifft auch zu fuer die anderen Regenwaelder in Afrika, Asien und Australien, ist aber eine gewaltige Waermepumpe, die ueberschuessige Waerme aus dem tropischen Guertel in die hoeheren Breitengrade, nord und sued, leitet.

Der Regenwald hat eine enorme Evapotranspiration, das ist die Summe der Verdunstung und Veratmung. Von dem Regen, der auf den Wald niedergeht, kommen an die 25% am Boden gar nicht an, das genuegt gerade, um das maechtige Blattwerk – bis zu 40 m hoch - nass zu machen, und verdunstet gleich wieder, sobald die Sonne scheint. Von den 75%, die am Boden ankommen, nimmt die Pflanze 50% auf und veratmet sie fuer ihren Stoffwechsel. Nur ein Viertel des Wassers landet in den Quellen und Baechen und geht zum Meer. Auf dem langen Weg, von Westamazonien bis zu den Anden sind es Tausende von Kilometern, verdunstet wieder ein Teil. Der Regenwald macht also sein eigenes Klima. Wenn es an den Andenhaengen regnet, ist es Wasser, welches zwischen sechs und sieben mal ab und aufgegangen ist: Regen – Verdunstung, neue Wolken – neuer Regen - neue Wolken, usw.

Das bedeuted, dass der Regenwald sehr anfaelllig ist.Er koennte zusammenbrechen, lange bevor er ganz gerodet ist.

Obiger Zyklus geht vorwiegend von Ost nach West (Passatwinde). Man kann das auf den Satellitenbildern der NASA klar sehen. Die grossen Wolkenmassen gehen von Ost nach West. Wo sie an die Anden prallen, teilt sich der Strom in zwei Haelften, eine geht nach Norden, geht dann parallel zum Golfstrom bis nach Europa hinein. Wir wissen nicht, wie weit der Golfstrom die Luftmassen, oder umgekehrt, die Luftmassen den Golfstrom beinflussen. Die andere Haelfte geht nach Sueden, bestimmt das Klima Zentral- und Suedbrasiliens und dann bis hinunter zum Feuerland. Ein kleinerer Teil springt auch ueber die Anden.

Da nun die Niederschlaege im Westen vom Regen im Osten beinflusst werden, koennte es sein, dass, sollte im Osten zuviel Wald verschwinden, der grosse Wasserkreisllauf zusammenbricht. Der Regenwald ist, wenn intakt, nicht anfaellig fuer Braende, er ist zu feucht. Er braucht aber regelmaessige Regenfaelle - fast jeden Tag. Vor zwanzig Jahren noch, war es in Manaus ueblich zu sagen: „wir treffen uns heute nach dem Regen". Das war dann der spaete Nachmittag. Das sagt heute in Manaus niemand mehr. Inzwischen hat es dort schon Trockenperioden gegeben von bis zu zwei Monaten. Dann wird der Wald anfaellig fuer Feuer. Riesige Braende gab es schon in Roraima, im Land der Yanomani. Frueher undenkbar. Beim ersten Mal brennt nur das Unterholz, dann wird es immer schlimmer. Die brasilianische und allgemein suedamerikanische Pyromanie sind bekannt...

Kommt es im Osten zu grossen Flaechen nackten Bodens oder zu kargem Gestruepp, dann haben wir dort, statt der gewaltigen Evapotranspiration, heisse Aufwinde. Die vom Meer herein kommenden, niedrig fliegenden Wolken mit ihrer grossen Wasserfracht verfluechtigen sich. Der Regen, der einige Hundert Kilometer westlich nieder gehen wuerde, verschiebt sich weiter nach Westen, ein neues Stueck Regenwald wird anfaellig fuer Brand. Der Zusammenbruch des gesamten Systems waere programmiert. Heute ist der Regenwald schon zu zwanzig Prozent zerstoert, der groesste Teil dieser Zerstoerung ist im Osten.

Wie Professor Salati, USP, Universitaet von São Paulo gezeigt hat, der ja, als er Direktor am INPA, Nationales Forschungsinstitut fuer Amazonien, war, auch die Evapotranspiration des Regenwaldes erforscht hat und zu obigen Zahlen kam, ist dieses Klimasystem

eine gewaltige Waermepumpe. Aus der Thermodynamik wissen wir ja, dass bei der Verdunstung und Kondensation von Wasser grosse Mengen Energie umgesetzt werden. Fuer das Klimasystem Amazoniens hat Salati ausgerechnet, dass der Energietransport pro Tag der Energie von ca.sechs Millionen Atombomben (Hiroshimatyp) entspricht. Diese Energiemenge wird also, wie oben bereits erwaehnt, aus dem tropischen Guertel in die hoeheren Breitengrade nord und sued transportiert, bestimmt also dort das Klima.

Zurueck zu Lovelock. Wir wissen, dass unsere Sonne heute ca.30% heisser ist als zur Zeit der Entstehung der Ozeane und dem Beginn der praebiotischen, biochemischen Entwicklung, als die „Ursuppe" entstand, in der dann, vor wohl dreieinhalb Milliarden Jahren, die ersten Lebewesen mit der Komplexitaet von Bakterien entstanden. Warum wurde die Erde nicht wie Venus? Dort hat ein sich selbst verstaerkender Treibhauseffekt (runaway greenhouse effect) stattgefunden. Alles Wasser ist verdunstet, wurde dann durch harte Einstrahlung zersetzt, der Wasserstoff ging verloren, der Sauerstoff hat oxidiert, was oxidiert werden konnte. Es kam zu einem chemischen Endgleichgewicht. Der Planet hat heute eine Atmosphaere, die an die zweihundert mal schwerer ist als unsere, die zu ueber neunzig Prozent aus Kohlendioxid besteht und hat eine Wolkendecke von vierzig Kilometer Dicke, bestehend aus Schwefelsaeure. Die Temperaturen liegen zwischen vierhundert und fuenfhundert Grad Celsius.

Die Erde haette eine aehnliche Entwicklung durchmachen koennen, sie waere nur nicht ganz so heiss, weil sie weiter weg von der Sonne kreist, aber die Meere vaeren verdunstet, das Wasser waere verschwunden. Das ist nicht passsiert, weil das Leben, und auch schon die Ursuppe, erst Gase, wie Methan, Ammoniak und Schwefelwasserstoff abgebaut haben, dann, als es zur Photosynthese kam, Kohlendioxid. Die erstgenannten Gase haben einen um das Vielfache staerkeren Treibhauseffekt als Kohlendioxid. Ohne diese Gase, waere die Erde vielleicht sogar am Anfang zugefroren. Der Kohlenstoff wurde abgelagert in Form von Petroleum und Erdgas, spaeter als Steinkohle, Braunkohle und Torf. Ein Grossteil wurde auch von Kleinlebewesen und groesseren Tieren, wie Molusken und Artropoden, in Form von Karbonaten – siehe die Dolomiten – abgelagert. Das Leben hat also im Laufe der Entwicklung Treibhauseffekt abgebaut in dem Masse, wie die Sonne waermer wurde. Durch die Photosynthese kam es auch zur Umkehr von der urspruenglich reduzierenden zur oxidierenden Atmosphaere, die die hoeheren Lebensformen, darunter die Tiere und uns, sowie die hoeheren Pflanzen, ermoeglichte.

Inzwischen hat das Leben aber soviel Kohlendioxid abgebaut, dass dieses Gas in der Atmosphaere eigentlich ein rares Gas geworden ist. Es waren vor der industriellen Revolution schon nur noch ca. 0,024 %, zu Zeiten der Ursuppe muessen es nahe an 30% gewesen sein, nun naehern wir uns durch die industriellen Emmissionen und denen des Verkehrs 0,040%. Das ist zwar fuer den Treibhauseffekt schon bedenklich, aber, wo wenig ist, kann man wenig wegnehmen. Die Sonne wird aber weiter waermer. Mit weiterer Ablagerung aus dem kleinen Rest ist aber nicht mehr viel zu machen, das koennte dann auch fuer die spaetere Entwicklung gefaehrlich werden, Kohlendioxid ist ja der Hauptnaehrstoff der Pflanzen fuer die Photosynthese. Das Kohlenmonoxid darf also nicht ganz verschwinden. Das Leben war an einem kritischen Punkt angelangt.

Lovelock glaubt, die letzte grosse Eiszeit in der Erdgeschichte, die vier grossen Vereisungen mit drei Zwischeneiszeiten in der letzten geologischen Periode, im Peistozaen, koennten sozusagen ein Fieber von Gaia sein. Wenn in einem homoeostatisch gut geregelten System ein Kontrollmechanismus gestoert wird, kann es zu Schwingungen, zum Zittern, kommen.

Wir wissen auch, dass die Regenwaelder, als sie noch intakt waren, in ihrer groessten Ausdehnung, fast zehn Millionen Quadratkilometer, sehr jung sind. Sie haben sich erst seit Ausklingen der letzten grossen Vereisung, vor ca. elftausend Jahren ausgebreitet. Bis dahin waren es kleinere Inseln, umgeben von Savannen (Cerrado). Das Zusammenwachsen der vielen kleineren, bis dahin von einander isolierten Regenwaldflaechen, ist mit ein Grund fuer die grosse Artenvielfalt.

Als maechtige Waermepumpe haben die Regenwaelder einen Teil der Arbeit des Kuehlhaltens des Planeten uebernommen. Sie sind zu einer planetaren Klimaanlage geworden, sie sorgen dafuer, dass der Tropische Guertel nicht zu heiss, die anderen, nord und sued, nicht zu kalt werden.

Sollte der Regenwald am Amazonas verschwinden, koennte der Golfstrom umkippen, das waere fuer Europa fatal. Man sehe sich nur die Weltkugel an und vergleiche zwischen dem fuenfzigsten und dem sechzigsten Breitengrad Europa mit Nordkanada.

Wie Bohrungen in den Eisdecken auf Groenland und in der Antarktis zeigten, koennen Eiszeiten ziemlich ploetzlich ausbrechen, im Laufe weniger Jahrzehnte, sie brauchen nicht Jahrhunderte oder Jahrtausende bis sie sich voll entwickeln. Dann aber, dauert es Dutzende oder Hunderte von Jahrtausenden, bis sie wieder abklingen... Die letzte, die kuerzeste, die Wuerm-Eiszeit hat mehr als dreissigtausend Jahre gesdauert.

Es muss aber garnicht zu den Extremen, neue Eiszeit oder Ueberflutungen, kommen, damit wir von unertraeglichen Kalamitaeten heimgesucht werden. Auf dem Weg dorthin wird das Klima immer unregelmaessiger, und das koennen wir schon ueberall auf der Welt beobachten. Das kann bald dazu fuehren, dass wir keine sicheren Ernten mehr haben. Was nuetzt dann schoenes Strandwetter auf Spitzbergen, wenn Millarden Menschen verhungern.

Wann werden die Maechtigen aufwachen, wann werden sie handeln?

 

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